Autorenbild Christine ÖttlDas Job-Interview

Bewerbungsgespräch: Alle Fragen vorbereiten geht nicht!

Ein Beitrag von Christine Öttl

Immer wieder lerne ich Menschen kennen, die sich 100 %-ig auf ein bevorstehendes Bewerbungsgespräch vorbereiten, sprich im Vorfeld eine Antwort auf jede nur mögliche Frage ausarbeiten möchten, die ihnen gestellt werden könnte. Doch das ist schlicht und einfach nicht machbar. Denn die Art der Fragen wird von verschiedenen Faktoren bestimmt: von den Erwartungen des jeweiligen Unternehmens, von der Person des Interviewers und auch vom Verlauf des Gespräches und der zwischenmenschlichen Dynamik.


Es gibt unendlich viele Fragen, die kommen können

Natürlich ist es sinnvoll und wichtig, sich mit den Standardfragen zu beschäftigen und sich intensiv darauf vorzubereiten. Doch so unterschiedlich die Persönlichkeiten der Interviewer, die Bedürfnisse und Erwartungen der verschiedenen Unternehmen und der Verlauf einzelner Gespräche sein können, so gibt es unendlich viele Fragen, die kommen können. Hier nur ein paar Beispiele:

- die Standardfragen in anderer "Verpackung"

z. B. statt "Was sind Ihre Stärken?":
"Wenn Sie ein Produkt wären, was würde im Werbeprospekt stehen?" - "Warum sollten wir gerade Sie einstellen?" - "Wenn ich Ihr Kollege wäre, was würde ich besonders an Ihnen schätzen?"


- Fragen, die unternehmensspezifisch und/oder für die Position besonders wichtig sind

z. B. "Stehen Sie gerne im Mittelpunkt?" - "Wie wichtig ist es Ihnen, Arbeit und Privatleben voneinander zu trennen?" - "Könnten Sie sich vorstellen, mehrere Jahre lang dieselbe Tätigkeit zu verrichten?"


- Lieblingsfragen des Interviewers

z. B. "Was motiviert Sie dazu, morgens aufzustehen?" - "Wie könnte ich Sie auf die Palme bringen?" - "Wenn Sie ein Tier/eine Pflanze/ein Buch wären: Was wären Sie dann und warum?"


- Fragen, die sich im Gespräch ergeben

z. B. "Sie haben vorher gesagt, dass Sie immer gerne im Team gearbeitet haben. Hat Teamarbeit Ihrer Meinung nach nur positive Aspekte?" - "Ich habe den Eindruck, dass Sie sich vor allem für die Aufgaben X und Y begeistern. Wie sieht es mit den administrativen Dingen aus?" - "Wie ich Sie bisher kennen gelernt habe, kann ich mir vorstellen, dass Sie wirklich gut mit anderen Menschen umgehen können. Auch in stressigen Zeiten und wenn es Schwierigkeiten gibt?"


Je wichtiger die Persönlichkeit, umso weniger berechenbar sind die Fragen

Vor allem Unternehmen, die viel Wert auf die Persönlichkeit ihrer Mitarbeiter legen und ganz klare Erwartungen haben, beschränken sich nicht darauf, die bekannten Standardfragen zu stellen. Um wirklich an die Bewerber heranzukommen, sie aus der Reserve zu locken und als Menschen kennen zu lernen, kommen absichtlich und geplant auch Fragen, auf die man sich eben keine Antwort zurechtlegen kann, sondern auf die man spontan reagieren muss.


Am besten: eine fundierte und breite Vorbereitung

Aus diesem Grunde ist es nicht wirklich hilfreich und ausreichend, Bewerbungsratgeber zu wälzen und Antworten auf alle dort genannten Fragen festzulegen oder gar zu übernehmen. Ein Bewerbungsgespräch ist kein Multiple-Choice-Test, sondern ein (mehr oder weniger) intensiver und lebendiger Dialog mit einem oder mehreren Menschen aus Fleisch und Blut. Deshalb ist die beste Vorbereitung nicht eindimensional und starr, sondern möglichst breit und besteht aus folgenden Bausteinen:

1. sich selbst gut kennen
2. Standardfragen gut vorbereiten
3. individuelle Vorbereitung für das konkrete Gespräch


1. sich selbst gut kennen

Die beste Grundlage, um mit allen Fragen, auch mit völlig unerwarteten, souverän und überzeugend umgehen zu können, ist, sich selbst gut zu kennen. Das erreicht man, indem man intensiv über sich nachdenkt, Klarheit über die eigene Persönlichkeit hat, seine Stärken und Schwächen kennt - sowohl die fachlichen als auch die persönlichen.

Ein guter Weg ist, den eigenen Werdegang zu studieren, jede einzelne Station genau zu beleuchten und sich vor Augen zu führen: warum man was wann gemacht hat, Erfolge und Misserfolge, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die man jeweils einbringen bzw. ausbauen konnte, inwiefern man sich als Kollege bewährt hat, wofür man gelobt bzw. getadelt wurde, was andere Menschen an einem schätzen usw.


2. Standardfragen gut vorbereiten

Ja, sich mit den bekannten Standardfragen zu beschäftigen und Antworten darauf zu finden, ist sehr sinnvoll und hilfreich. Nicht nur, weil im Gespräch tatsächlich die eine oder andere kommen kann, sondern vor allem, um sich beim Nachdenken über sich selbst leiten zu lassen.

Um sich wirklich gut auf ein Bewerbungsgespräch vorzubereiten, dessen Ablauf - wie gesagt - sich einfach nicht vorhersehen lässt, sollten Sie allerdings keine vorgebenen Antworten aus Büchern oder von anderen Leuten übernehmen. Sondern sich zwar mal inspirieren lassen, aber auf jeden Fall eigene Antworten finden. Gute Personaler erkennen nämlich recht schnell, wenn Bewerber angelesene oder undurchdachte Inhalte zum Besten geben. Und bohren entsprechend nach oder verlieren das Interesse.


3. individuelle Vorbereitung für das konkrete Gespräch

Ein weiterer wichtiger Baustein ist, möglichst viel Klarheit über das aktuell bevorstehende Gespräch zu gewinnen und sich mit folgenden Themen zu beschäftigen:

Was für eine Person wird gesucht? Welche fachlichen und persönlichen Anforderungen werden gestellt? Was braucht man Ihrer eigenen Meinung und Erfahrung nach, um den angestrebten Job gut machen zu können? Wie präsentiert sich das Unternehmen? Und inwiefern bin ich ein guter Kandidat/eine gute Kandidatin? Was bringe ich alles mit?
All das sind Themen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in der einen oder anderen Form zur Sprache kommen werden.


Wichtig: im Gespräch flexibel und offen sein

Doch die beste Vorbereitung nützt wenig, wenn man im Gespräch verkrampft und zurückhaltend wirkt und zu wenig über sich erzählt. Es ist sehr wichtig, mit einer positiven und offenen Grundeinstellung ins Gespräch zu gehen, dem Interviewer wirklich zuzuhören und sich auf einen echten Dialog einzulassen. Das fällt meiner Erfahrung nach am leichtesten, wenn man sich ganz klar macht: "Mein Gesprächspartner stellt mir Fragen, um mich möglichst gut kennen zu lernen, mit meinen fachlichen Qualitäten und vor allem meine Persönlichkeit."

Mit dieser inneren Einstellung fällt es am leichtesten, ruhig und souverän zu bleiben, nachzudenken und von der guten Vorbereitung auch wirklich zu profitieren.



Nächsten Tipp lesen:
» "Das sage ich dann später im Gespräch..."

Über die Autorin:


(c) Christine Öttl, objektiv. Management & Lebensqualität
eMail: objektiv@selbstmarketing.de

Christine Öttl war selbst Führungskraft und viele Jahre Coach und Trainerin mit Schwerpunkt Bewerbung. Gemeinsam mit Gitte Härter hat sie unter anderem zahlreiche Bewerbungsratgeber veröffentlicht.

Link zum Buch:


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