Ein Beitrag von Christine Öttl
Immer wieder lerne ich Menschen kennen, die sich schwer tun in Bewerbungsgesprächen und sich deshalb gut auf das nächste vorbereiten möchten.
Der Wunsch, "alles richtig zu machen", ist natürlich verständlich und nachvollziehbar - vor allem, wenn man schon mehrere Gespräche hinter sich hat und nie ausgewählt wurde. Aber gleichzeitig auch die größte Hürde: Denn die Gefahr ist groß, dass man nach Patentrezepten sucht und sich zu wenig mit sich selbst beschäftigt.
Hier drei Fallen, in die man als Bewerber tappen kann:
Die Fragen weiß ich doch schon alle!
Wenn wir beginnen, ein Bewerbungsgespräch durchzuspielen, sagen manche Kunden gelangweilt zu mir: "Die kenne ich doch schon, all diese Fragen!" Damit meinen sie, dass ich ihnen etwas anderes bieten sollte als die üblichen Fragen: Schließlich haben sie sich mit denen schon ausreichend beschäftigt und können wunderbar damit umgehen!
Natürlich lasse ich dann nicht locker, sondern animiere meine Kunden dazu, mir doch einfach eine Antwort zu geben. Zum Beispiel darauf: "Was sind denn Ihre persönlichen Stärken?" Dann folgt so gut wie immer eine lieblose Aufzählung allgemeiner und pauschaler Dinge - und sobald ich nachfrage und erfahren möchte, was genau ich mir im richtigen Leben darunter vorstellen kann, wird mein Gegenüber sehr sehr wortkarg.
Auch wenn es "eigentlich" klar ist: Es reicht natürlich nicht, theoretisch über all die Fragen Bescheid zu wissen, die im Bewerbungsgespräch kommen könnten. Sondern es geht darum, alle Antworten - auch die zu Standardfragen - gut, überzeugend und authentisch beantworten zu können und auch bei tieferem Nachfragen etwas zu sagen zu haben.
sich die "richtigen" Antworten anlesen
Viele Bewerber möchten sich auf ein Bewerbungsgespräch genau so vorbereiten wie auf einen Mathe-Test: Welche Fragen gibt es und was sind die "richtigen" Antworten darauf? Was muss ich sagen, um auf jeden Fall zu punkten?
Natürlich ist es hilfreich, sich im Vorfeld darüber zu informieren, wie Bewerbungsgespräche ablaufen und welche Fragen mit hoher Wahrscheinlichkeit gestellt werden. Und sich auch Tipps zu holen, was aus welchem Grund mehr oder weniger sinnvoll und clever ist. Aber Antworten aus Büchern oder von anderen Leuten einfach zu übernehmen, ist keine wirkliche Hilfe.
Denn ein Job-Interview ist etwas ganz anderes und viel komplexer und dynamischer als ein Mathe-Test, nämlich eine Begegnung zwischen zwei (oder mehr) Menschen. Das bedeutet: Vielleicht kommen ganz andere Fragen als die, auf die man sich eine Antwort zurechtgelegt hat. Vielleicht werden aus der Fülle der möglichen Themen nur zwei-drei ausgewählt und diese sehr intensiv und detailliert besprochen. Vielleicht wird man als Bewerber gebeten, eine kurze Selbstpräsentation zu halten - und daraus ergibt sich dann das ganze weitere Gespräch. Vielleicht …
Außerdem merkt natürlich ein geschultes Gegenüber sofort, ob der Bewerber gut vorbereitet ist, sich ausführliche Gedanken gemacht hat und wirklich seine eigenen Überlegungen von sich gibt - oder Angelesenes und von anderen Übernommenes.
So etwas wird doch nicht gefragt!
Manche meiner Coachingkunden wollen sich mit bestimmten Fragen - die sie entweder in einem Bewerbungsratgeber gelesen haben oder die ich ihnen im Laufe des Coachings stelle - überhaupt nicht beschäftigen, weil sie davon überzeugt sind, dass sie "im richtigen Leben" nie gestellt werden. Das können ganz unterschiedliche Fragen sein: nach dem größten beruflichen Erfolg/Misserfolg, wie sie sich selbst zu weniger geliebten Aufgaben motivieren, die Lieblingslektüre usw.
Das ist schade: Denn alles ist möglich. Es lässt sich einfach nicht vorhersagen, welche Fragen tatsächlich gestellt werden. Auch wenn man bisher noch nie nach seinen privaten Interessen und Hobbies gefragt worden ist, kann das schon beim nächsten Mal der Fall sein.
Besser: sich rundrum vorbereiten
Sich fundiert, umfassend und detailliert auf das Bewerbungsgespräch vorzubereiten, ist die beste Grundlage, um sich gut, überzeugend und souverän präsentieren zu können. Das bedeutet, keine starren Erwartungen zu haben, keine Fragen oder Themen als unwichtig abzutun und unter den Tisch fallen zu lassen und keine vorgebenen Antworten einfach zu übernehmen.
Gute Vorbereitung heißt:
- sich mit den verschiedensten Fragen beschäftigen und keine von ihnen als unwichtig betrachten oder gar ausschließen
- über sich selbst nachdenken und sich eigene Antworten zu allen Standardfragen erarbeiten
- allgemeinen und pauschalen Begriffen wie engagiert, belastbar, teamfähig usw. auf den Grund gehen und klären, inwiefern und warum man sich selbst so beurteilt
- die Frage aller Fragen ausführlich für sich beantworten können, nämlich:
Warum sollten wir gerade Sie einstellen? Was spricht aus Ihrer Sicht dafür, dass wir uns für Sie entscheiden?
Es lohnt sich, Zeit und Energie in eine breite und fundierte Gesprächsvorbereitung zu investieren. Nicht nur, weil Sie dann viel flexibler sind und auch mit unerwarteten Fragen gut umgehen können. Sondern auch, weil die gute Vorbereitung sich positiv auf Ihr Selbstbewusstsein, Ihre Ausstrahlung und das gesamte Auftreten auswirkt.
Über die Autorin:
(c) Christine Öttl, objektiv. Management & Lebensqualität
eMail: objektiv@selbstmarketing.de
Christine Öttl war selbst Führungskraft und viele Jahre Coach und Trainerin mit Schwerpunkt Bewerbung. Gemeinsam mit Gitte Härter hat sie unter anderem zahlreiche Bewerbungsratgeber veröffentlicht.
Link zum Buch: