Ein Beitrag von Marlis Margarete Speis
Mobbing - Noch vor wenigen Jahren konnte sich niemand etwas unter diesem Begriff vorstellen. Erst seit kurzer Zeit, aber in rasantem Tempo, verschafft sich dieses Thema quer durch die Medien ein Forum und stößt dabei auf gewaltiges Interesse. Kein Wunder, denn Mobbing steht für ein Problem, das viele betrifft und fast jeden etwas angeht: Für den ebenso alltäglichen wie dramatischen Psychoterror am Arbeitsplatz, für die Schikanen zwischen den Kollegen, für die systematischen Boshaftigkeiten, mit denen Chefs ihre Untergebenen attackieren, oder auch umgekehrt.
Ist Mobbing also nur ein neues Wort für die Intrigen und Feindseligkeiten, unter denen berufstätige Frauen und Männer schon immer zu leiden hatten? Eine peppige, neue Verpackung für ein altes Nebenprodukt der Arbeitswelt? Natürlich gab es den Kleinkrieg im Büro schon, bevor der Begriff Mobbing geprägt wurde. Und damit auch unzählige Betroffene, die durch gezielte Schikanen mürbe und letztlich krank gemacht wurden, ohne ihr Leid offen zu zeigen - aus Scham oder Angst, ihre Situation zusätzlich zu verschlimmern. Vor allen Dingen sprechen Firmen nicht über Mobbing in ihrem Betrieb. Wagte es dennoch jemand, seinen Fall publik zu machen, war das eben die unrühmliche Ausnahme. Folglich meldeten die Betriebsspitzen unisono: Psychoterror? Aber bei uns doch nicht!
Dass das Problem Mobbing ernst genommen werden muss, steht außer Frage. Denn leider spricht vieles dafür, dass der systematische Zermürbungskrieg am Arbeitsplatz in den letzten Jahren an Schärfe und Vehemenz noch zugenommen hat. Die Ursachen sind offensichtlich: Die vielzitierte Ellenbogengesellschaft ist leider keine Medienerfindung. Wissenschaftler registrieren einen allgemein ansteigenden Aggressivitätsspiegel in der Gesellschaft, in den Betrieben nimmt der Leistungsdruck zu. Die Rezession, verbunden mit der wachsenden Bedrohung von Arbeitslosigkeit, tut ihr übriges. Der Boden, auf dem die Mobbing-Auswüchse gedeihen, ist fruchtbarer denn je. Um die Saat im Keim zu ersticken, sind Wissenschaftler, Untemehmensführung, Gewerkschaften, Krankenkassen, Betriebsräte und -ärzte und auch jeder Einzelne gefordert.
Der Unterschied zum üblichen Terror
Von Mobbing (von to mob = anpöbeln, herfallen über) spricht die Arbeitsmedizin erst, wenn die Angriffe auf eine Person systematisch und über einen langen Zeitraum hinweg erfolgen. Psychoterror erfolgt dort, wo Schikanen und Intrigen zur Routine werden. Der schwedische Arbeitswissenschaftler und Mobbing - Pionier Prof. Heinz Leymann schlug aufgrund intensiver Untersuchungen folgende Definition vor: „Mobbing ist dann gegeben, wenn ein Betroffener mindestens einmal in der Woche mindestens ein halbes Jahr lang attackiert wird - von einer oder mehreren Personen."
Am häufigsten tritt Mobbing offensichtlich unter Gleichgestellten auf. Im Rahmen schwedischer Untersuchungen gaben 44% der Befragten an, von Kollegen gemobbt worden zu sein. 37% wurden von Vorgesetzten drangsaliert und 9% von Untergebenen. Jedes 10. Mobbingopfer hatte sogar gegen eine regelrechte Koalition aus Kollegen und Vorgesetzten zu kämpfen. Dabei müssen die einzelnen Vorfälle keinesfalls besonders augenfällig oder gravierend sein. Jede Schikane für sich, die von einem einzelnen oder einer Gruppe ausgeht, könnte vielmehr oft als Lappalie abgetan werden. Gerade das macht es den Betroffenen auch oft so schwer, frühzeitig zu reagieren. Zum einen ist anfangs nur schwer zu entscheiden, ob bereits eine gezielte Verschwörung im Gang ist. Darüber hinaus klingen die einzelnen Aktionen für Außenstehende manchmal nahezu lächerlich oder höchst unglaubwürdig. „Würden Sie zu Ihrem Chef laufen", so fragt ein ehemaliges Opfer, „und ihm mitteilen: Die Kollegen sperren mich manchmal im Büro ein, sie schalten das Licht aus, wenn ich auf Toilette bin und verstecken meine Grünpflanzen? Mein Chef zumindest hätte mir bestenfalls erwidert, dass ich ihn mit diesem Kinderkram gefälligst in Ruhe lassen soll." Doch dieser Kinderkram kann natürlich eine ähnlich fatale Wirkung haben, wie direkte, aktenkundige Angriffe: Meist dauert es nicht einmal ein halbes Jahr, bis das Mobbing - Opfer psychisch und physisch angeschlagen ist.
Mobbing macht krank
Mobbing macht krank, psychisch und physisch. Im Buch „Psychischer Stress am Arbeitsplatz" stellen die Arbeitspsychologen Heiner Dunkel und Dieter Zapf fest: Personen mit sozialem Stress sind ... gesundheitlich gefährdeter. Etwa doppelt so viele Personen mit hohem sozialem Stress hatten auch hohe psychosomatische Beschwerden, verglichen mit denjenigen, mit niedrigem sozialem Stress. ... In vielen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass soziale Unterstützung am Arbeitsplatz, insbesondere durch Kollegen (aber auch durch die Vorgesetzten), Stressreaktionen vermindert und damit das Ausmaß an Depressivität, Unzufriedenheit, aber auch körperlichen Symptomen, wie Magengeschwüre verringert.
Mobbing bedeutet Ausgrenzung und stellt den Betroffenen unter extremen sozialen Stress. Umso gravierender sind die Auswirkungen, die sich in zwei Hauptgruppen unterteilen lassen:
Psychische Folgen
Depressionen, Konzentrationsstörungen, Selbstzweifel, Angstzu-stände bis hin zu psychiatrischen Syndromen und Selbstmordgedanken.
Psychosomatische Folgen
z. B. Herz- und Kreislaufstörungen, Atembeklemmung, Kopf-, Nacken-, Rückenschmerzen, Hautkrankheiten, Schlafstörungen, Erkrankungen des Magen- und Darmtraktes.
Wann sich die ersten Symptome einstellen, ist natürlich von der Art des Psychoterrors und einer Reihe persönlicher Faktoren abhängig: Die körperliche und seelische Grundverfassung, das ei-gene Selbstvertrauen, das allgemeine Ansehen bei anderen und die sozialen Kontakte spielen eine bedeutende Rolle. Zu den entscheidendsten Ressourcen zählt auch die Fähigkeit, Problem lösen zu können und nicht zuletzt gute finanzielle Ver-hältnisse. Wer Angst haben muss, nach einer Kündigung ins gesellschaftliche Abseits zu rutschen, empfindet Mobbing natürlich zu recht als Existenzbedrohung.
Aber auch für Betroffene, die ursprünglich über gute soziale und psychische Kraftquellen verfügen, wird Mobbing oft zur Zerreißprobe. Viele Opfer weisen auf die katastrophalen Folgen hin, die der Psychoterror auch für das Privatleben haben kann. Zahlreiche Familien, feste Freundschaften oder auch langjährige Partnerschaften halten dem Belastungsdruck auf Dauer nicht stand. Trennungen, Scheidungen, ein tiefes Misstrauen gegenüber Menschen, wie auch der Verlust des Selbstwertgefühls gehören zu den härtesten Begleiterscheinungen, die der Krieg am Arbeitsplatz in das Privatleben trägt.
Mobbing ist leider kein Ausnahmefall
Die meisten Betriebe ignorieren das Phänomen Mobbing immer noch. Ein schwerwiegendes Versäumnis. Auch wenn die Füh-rungsspitzen nicht aus menschlichen Gründen gegen das Problem angehen wollen, sollten sie es wenigstens den Bilanzen zuliebe tun. Denn der Psychokrieg ist teuer. Mobbing - Opfer müssen sich über Wochen, manchmal auch über Monate krankschreiben lassen. Auf über 15 Milliarden Euro jährlich werden allein die Kosten geschätzt, die durch Fehlzeiten entstehen. Aber durch diese direkten Ausfälle ergeben sich noch weitere Verluste: Die schikanierten Kollegen bringen auf Dauer oft nur noch die Hälfte oder gar ein Viertel ihrer üblichen Leistung. Aber auch die Mobber verbrauchen einen Teil ihrer Energie mit dem Ausklügeln neuer Boshaftigkeiten.
Ebenso gravierend sind die indirekten Folgen für den Betrieb. Ein schlechtes Arbeitsklima dämpft die Motivation und führt vielfach zur ‚inneren Kündigung’. Statt sich wirklich für den Betrieb einzusetzen, mit Lust und Power zu arbeiten, Kreativität und Wissen einzubringen, machen viele nur noch Dienst nach Vorschrift. Die Arbeit wird zum notwendigen Übel, dem man so weit wie möglich aus dem Weg geht. Hieraus resultiert eine weitere Negativerscheinung: Während die durchschnittlichen und unterdurchschnittlichen Kollegen in der Regel der Firma erhalten bleiben, wandern die guten und kreativen Mitarbeiter ab. Sie können es sich leisten, die Konsequenz aus dem miesen Betriebsklima zu ziehen, da sie auf dem Arbeitsmarkt die besten Chancen haben.
Typische Ursachen und Anlässe: Wie Mobbing entsteht
Auslöser, darüber sind die Experten sich einig, ist immer ein Konflikt. Meist ein ganz banaler, wie z.B.
Probleme eben, wie sie im Arbeitsalltag täglich auftauchen. Natürlich führt längst nicht jeder Konflikt zu Mobbing. Aber ob es die Mitarbeiter schaffen, eine vemünftige und faire Lösung zu finden oder ob es zu immer stärkeren Reibereien und bösen Schikanen kommt - das ist nicht vom Zufall abhängig. Hierbei spielen einige bereits bekannte Faktoren eine wichtige Rolle. Ein entscheidendes Stichwort ist das Arbeitsklima. Ob man sich an seinem Arbeitsplatz wohlfühlt oder nicht, hängt elementar von der Atmosphäre im Unternehmen ab. Die meisten Arbeit-nehmer empfinden ein schlechtes Arbeitsklima als Stressfaktor Nummer 1 und leiden mehr darunter als beispielsweise unter Zeit- und Leistungsdruck. Jeder 6 deutsche Erwerbstätige - so ergab 1992 eine Infas-Studie, die im Auftrag der Betriebskrankenkassen durchgeführt wurde - fühlt sich krank, weil in seinem Betrieb dicke Luft herrscht. Doch woran liegt es, wenn die Stimmung gereizt und gefährlich ist?
1. Stress durch Überbelastung oder schlechte Organisation
Ständiger Zeitdruck und Überforderung begünstigen Mobbing. Klar: Jeder einzelne steht „unter Strom", darüber hinaus häufen sich in einer schlecht organisierten oder unterbesetzten Abteilung oftmals Fehler, der Druck von oben steigt - Kollegialität, Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft zwischen Kollegen bleiben schnell auf der Strecke. Stress fördert Aggressionen, die wiederum ein Ventil suchen. Gleichzeitig fehlen oft die Zeit und damit die Möglichkeit, sich auf der menschlichen Ebene auszutauschen. Entspannte Gespräche in der Mittagspause oder auch mal zwischen Tür und Angel können Missverständnisse schnell bereinigen und Konflikte verhindern. Doch wenn der Stress allein den Takt angibt, bleibt der gesunde Austausch aus.
2. Monotonie und Langeweile
Wer zu viel Zeit hat, kommt leicht auf dumme Gedanken. Ganz abwegig ist diese überspitzte Formulierung tatsächlich nicht. Ein eintöniger Arbeitsablauf fördert die Lust auf Abwechslung, schlimmstenfalls besteht der Nervenkitzel darin, anderen das Leben schwer zu machen. Abgesehen davon, stellt Unterforderung immer einen nicht zu unterschätzenden Stressfaktor dar, der Aggressionen wecken kann.
3. Schlechter Führungsstil
Ein gravierender Mobbing-Faktor. Viele Experten betrachten den Psychoterror in erster Linie als Führungsproblem. Nicht nur, weil Bosse selbst häufig ihre Untergebenen drangsalieren. Oft sind sie auch indirekte Drahtzieher. Ein schwacher Vorgesetzter, der mit seiner Aufgabe überfordert ist und damit die ganze Abteilung verunsichert, schafft ebenso - nur auf andere Weise - ein Mobbingklima wie der überautoritäre Boss, der keinerlei Freiraum für offene Kritik und Diskussionen zulässt. Darüber hinaus bestimmt die Führungsspitze maßgeblich das moralische Niveau einer Firma.
4. Konkurrenzdruck und Angst vor Arbeitslosigkeit
In einem Unternehmen, wo keiner um seinen Arbeitsplatz fürchten muss, wo Aufstieg nur über faire Methoden möglich ist, haben Mobber eigentlich keine Chance. Wenn aber Neid und Angst das Arbeitsklima bestimmen, wenn der Konkurrenzdruck als vermeintlicher Leistungsanreiz sogar noch von der Firmenspitze gefördert wird, stehen die Weichen auf Psychoterror. Um nicht den Aufstieg zu verpassen oder gar von der nächsten Kündigungswelle mitgerissen zu werden, bedient sich dann mancher unsauberer Methoden. Verschärft wird die Situation derzeit u. a. auch von der schlechten Wirtschaftslage und den dramatischen Arbeitslosenzahlen.
Häufig hängen die einzelnen Faktoren, die die Atmosphäre im Betrieb verpesten, miteinander zusammen. Je schlechter die äußeren Strukturen, umso gefährlicher wird es für jeden einzelnen. Den Frust, Ärger oder Angst, so die These vieler Verhaltenswissenschaftler, wandeln sich oft in Aggressionen um. Ist der direkte Verursacher nicht zu greifen, richten sich die angestauten, negativen Emotionen einer Gruppe, gegen einen so genannten „Sündenbock", das kann eine andere Gruppe sein oder auch ein einzelner. Die Angreifer fühlen sich im Schutz der Masse geborgen und haben dabei häufig nicht einmal ein schlechtes Gewissen.
Checken Sie die Stimmung am Arbeitsplatz
‚Wehret den Anfängen’ – dieser vielzitierte Ausspruch trifft auch auf das Problem Mobbing zu. Denn ist der Psychoterror erst einmal im Gange, lässt er sich kaum mehr stoppen. Machen Sie doch einfach einmal den Test, wie die Stimmung im eigenen Betrieb ist. Kreuzen Sie all jene Punkte an, die auf ihren Arbeitsplatz zutreffen:
Auswertung Mobbing-Test
0 bis 4 zutreffende Punkte:
Mit dem Betriebsklima an ihrem Arbeitsplatz dürfen Sie im Gro-ßen und Ganzen zufrieden sein. Die positive Stimmung scheint die meiste Zeit zu überwiegen. Kleine Probleme und Spannun-gen sind im Arbeitsleben unvermeidlich und kein Grund zur Sorge, solange man sie nicht ignoriert, sondern aufmerksam verfolgt, wie sich die Dinge entwickeln. Die wenigen Schattenseiten, die im Test zum Vorschein kamen, lassen sich möglicherweise leicht aus der Welt schaffen. Das Betriebsklima in Ihrer Firma ist offensichtlich gut genug, um die Knackpunkte im Team oder mit dem Vorgesetzten zu besprechen und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.
5 bis 8 zutreffende Punkte:
In ihrer Firma zu arbeiten, ist offensichtlich kein reines Vergnügen. Zu viele Reibungs- und Konfliktpunkte tauchen auf, die unter Umständen auch in Psychoterror ausarten können. Regen Sie, wenn möglich, z.B. Verbesserungen an, versuchen Sie, Verbündete im Betrieb zu finden, denen ebenso an einer Entschär-fung des Konfliktpotentials gelegen ist. Seien Sie in jedem Fall wachsam.
9 und mehr zutreffende Punkte:
Alarmstufe ROT! Die Stimmung an Ihrem Arbeitsplatz ist offensichtlich äußerst gespannt. Dass es in diesem Betriebsklima zu Aggressionen und verdeckten Konflikten kommt, ist unvermeidlich - der ideale Nährboden für Mobbing. Im Alleingang können Sie vermutlich nichts ändern. Überlegen Sie in Ruhe, wo es innerhalb der Firma noch Ansprechpartner gibt, denen Sie wirklich vertrauen können. Nur ihnen sollten Sie Ihre Befürchtungen mitteilen und gemeinsam überlegen, welche Wege noch offen stehen.
Über die Autorin:
Marlis Margarete Speis arbeitet seit Jahrzehnten erfolgreich als Mobbing- und Stressforscherin, ist Betriebswirtin, Humanpsychologin und Kinesiologin. Mit der MSP Trainerakademie hat sie sich voll und ganz der Stressbewältigung im 21. Jahrhundert verschrieben. Schwerpunkte liegen in der Stress- und Mobbing-Bewältigung, im Konflikt-Management/ Mediation sowie in der Persönlichkeitsentwicklung. Als Entwicklungshelferin für Menschen, leitet sie federführend die Ausbildung der MSP-Trainer und führt leidenschaftlich gerne Coachings durch - bei Einzelpersonen ebenso wie in Unternehmen.
Weitere Infos erhalten Sie bei MSP Trainerakademie, Gut Alt Cameshof, Schweinheimer Weg 4, 40670 Meerbusch-Osterrath, Telefon 02159/67 54 61, Fax: 02159/67 54 34, Email: msp-relax@web.de , Homepage www.msp-trainerakademie.de