Ein Beitrag von Gitte Härter
Eine der frustrierendsten Erfahrungen ist es, wenn man eine Absage dafür kassiert, dass man angeblich "überqualifiziert" für eine Stelle sei. Ich selbst habe diese Antwort bei früheren Bewerbungen mehr als einmal bekommen und bin jedes Mal schier ausgeflippt: "Wieso sagen die mir ab? Die sollen doch froh sein, wenn ich mehr kann, als sie brauchen! Außerdem müsste es doch mir überlassen bleiben, ob ich niedriger einsteigen möchte!!!"
Lassen Sie uns das Thema "Überqualifizierung" mal näher betrachten:
1. Bewerben Sie sich auf die richtigen Stellen?
Ja, ja, rollen Sie ruhig mit den Augen: Auch ich blase zunächst ins Möglicherweise-sind-Sie-tatsächlich-überqualifiziert-Horn. Dass Sie es nämlich tatsächlich sind, kann mehrere Gründe haben. Beispielsweise:
- Sie unterschätzen sich: Vielleicht, weil Sie zwar praktische Erfahrungen haben, jedoch keine formellen Belege, wie Ausbildung, Studium, "Scheine" etc.
- Sie rechnen sich keine Chancen bei einem anderen Unternehmen aus, beispielsweise weil Sie Ihre Fähigkeiten selbst nicht richtig einschätzen oder sehr lange bei derselben Firma waren und glauben, Sie seien dort nur erfolgreich in Ihrer Position gewesen, weil Sie schon so lange dabei waren.
- Sie bewerben sich bewusst "etwas weiter unten" und möchten einen Schritt zurückgehen, beispielsweise, weil Sie weniger Verantwortung möchten als zuvor, weil Sie sich in der früheren Stelle nicht wohl oder überfordert gefühlt haben.
- Sie haben versucht, eine gleichwertige Position zu ergattern, und haben jetzt den Eindruck, Sie müssten zurückschrauben, um überhaupt Arbeit zu finden.
Die Möglichkeiten sind vielfältig. Sofern Sie also immer wieder zu hören bekommen, Sie seien überqualifiziert, gehen Sie erst noch einmal in sich und prüfen Sie die Lage: Ist es tatsächlich so? War Ihnen das bekannt oder neu? Wie gehen Sie mit der Information konstruktiv um?
Konstruktiv heißt in diesem Fall, dass Schimpfen und Frust zwar verständlich sind, es Sie jedoch nicht nur nicht weiterbringt, sondern Sie erst recht runterzieht.
2. Wie bewerben Sie sich? Was vermitteln Sie?
Ein weiterer Grund für die Absage "überqualifiziert" kann natürlich an der Art Ihrer Selbstpräsentation liegen - sowohl schriftlich als auch persönlich.
Es gibt Bewerber, die - bewusst oder irrtümlich - ein völlig falsches Bild vermitteln. Dies kann enstehen durch:
- Das Betonen ambitionierter Ziele oder den Hinweis darauf, dass die angestrebte Stelle nur ein Sprungbrett sein soll.
Wenn Sie sich auf eine Position bewerben, jedoch direkt darauf hinweisen, dass Sie lediglich einen Fuß in die Türe bekommen möchten, oder auch (absichtlich oder unabsichtlich) auf "Perspektiven" und Veränderungsmöglichkeiten innerhalb eines Unternehmens drängen, kann auch dies dazu führen, dass Sie eine Ablehnung erhalten.
Achtung, bitte richtig verstehen: Natürlich ist es wichtig und auch gut, wenn Sie bereits in der Bewerbung mit dem Personalentscheider über Ihre Ziele sprechen. Das ist auch durchaus eine positive Sache, die zeigt, dass Sie aktiv und ehrgeizig sind - und sicherlich gut ankommt.
Was hier gemeint ist, sind Bewerbungen auf Positionen, bei denen eine Firma sofort merkt, dass Sie gar nicht an der Stelle selbst interessiert sind, sondern eigentlich möglichst schnell woanders hin möchten.
Beispiel: In dem Unternehmen, in dem wir früher tätig waren, haben sich für die Postion einer Rezeptionistin und Telefonistin oft Leute beworben, die eigentlich lieber in andere Abteilungen wollten, sich aber über den Einstieg Empfang bessere Chancen ausgerechnet haben ("einfacher, reinzukommen"). In diesem Fall hätten wir uns einen Bärendienst erwiesen, denn wir suchten eine verlässliche Rezeptionistin, die die Position gern und längerfristig ausübt.
- Das Hervorheben von bisherigen Tätigkeiten, Fähigkeiten, die deutlich über der Position/
Verantwortung lagen, auf die sich die aktuelle Bewerbung bezieht.
Ein wunderbares Beispiel habe ich kürzlich gesehen: Eine Dame in den 40ern bewarb sich als Team-Assistentin. Tatsächlich war sie dafür weit überqualifziert - nicht nur zeigte ein Blick auf ihren Lebenslauf, dass sie zuvor immer in Führungspositionen, mehrmals sogar als Geschäftsführerin, tätig gewesen war, nein, sie beschrieb auch im Anschreiben bereits im zweiten Absatz alle ihre leitenden Stellen und vielfältigen hochkarätigen Erfahrungen.
Es war glasklar, dass und warum sie immer den Absagegrund "überqualifiziert" bekam.
- Das Auftreten als "großer Bonzo".
Damit ist gemeint, dass bei der Bewerbung (absichtlich oder auch unabsichtlich) der Eindruck entsteht, dass die Person alles und noch viel mehr kann und möchte. Häufig passiert das aus dem Wunsch heraus, besonders perfekt wirken zu wollen und positiv aufzufallen. Das Ganze kann jedoch ins andere Extrem kippen.
3. Glaubwürdig und schlüssig präsentieren
Für jede Bewerbung ist es wichtig, sich individuell auf das Unternehmen und die Position einzustellen. Sich glaubwürdig und schlüssig zu präsentieren heißt in puncto "überqualifiziert sein", dass Sie vor dem Absenden Ihrer Bewerbung noch einmal prüfen:
- Wie wirkt die Bewerbung: Wie trete ich im Hinblick auf meine Qualifikation und Motivation auf?
- Angenommen, Sie bewerben sich bewusst auf Stellen, für die Sie tatsächlich sehr oder gar "über"qualifiziert sind: Welche Aspekte Ihrer bisherigen Tätigkeit heben Sie hervor? Was sagen Sie über Ihre Motivation?
Tipp: Sehen Sie Ihre Bewerbung immer mit den Augen eines Personalentscheiders an. Stellen Sie sich vor, Sie sehen diese Bewerbung zum ersten Mal, Sie kennen die Person dahinter nicht:
- Was würde Ihnen sofort auffallen?
- Welche Fragen würden Sie sich stellen?
- Welche Zweifel hätten Sie, wenn Sie feststellen, dass diese/r Bewerber/in schon deutlich verantwortungsvollere Aufgaben inne hatte bzw. höhere Qualifikationen mitbringt?
- Welche Fähigkeiten und Kenntnisse fänden Sie interessant, hilfreich?
Natürlich sind derlei Fragen Ihre Spekulation - Sie wissen nicht, ob der Personalentscheider gleiche oder ähnliche Gedanken hegt. Doch dieses Szenario kann Ihnen gut dabei helfen, Ihre Bewerbung im Vorfeld zu prüfen - und so im Voraus nachzuvollziehen, wo sich die "Haken" fürs Überqualifiziert-Sein am deutlichsten zeigen.
4. Hand aufs Herz: Liegt das Unternehmen richtig?
Eingangs hatte ich bereits erwähnt, dass ich selbst mehr als einmal den Stempel "überqualifiziert" bekommen habe. So sehr ich mich in dem Moment geärgert habe und so oft ich frustriert war - im Nachhinein muss ich sagen, dass mich diese Absagen einige Male vor mir selbst bewahrt haben. Oft sieht man erst mit Abstand klarer. Ich kann in 80 % der Fälle bestätigen, dass die Firmen, die mir eine Absage wegen Überqualifizierung erteilt haben, vollkommen richtig lagen - ich war überqualifiziert und ich wäre in den Stellen, die mir damals so attraktiv erschienen, sicher nicht lange glücklich gewesen.
Tipp: Wenn Sie mit der Einschätzung einer Firma nicht übereinstimmen und wenn Sie anhand der Anregungen in diesem Text alleine nicht damit weiterkommen, Ihre Lage und Qualifikation abzuklopfen, dann fragen Sie ruhig bei dem betreffenden Unternehmen noch einmal nach. Nicht immer wird man Ihnen genauere Auskunft geben können. Wenn Sie jedoch bei einem Gespräch vor Ort waren, kann Ihnen der Personalentscheider sicherlich etwas mehr zu seiner Einschätzung sagen.
Über die Autorin:
(c) Gitte Härter
eMail: objektiv@selbstmarketing.de
Gitte Härter war selbst Führungskraft und viele Jahre Coach und Trainerin. Außerdem hat sie über zwei Dutzend Ratgeber veröffentlicht: https://www.schreibnudel.de .
Gemeinsam mit Christine Öttl hat sie unter anderem zahlreiche Bewerbungsratgeber veröffentlicht.
Link zum Buch: