Autorenbild Simone JansonWie finde ich meinen Traumjob?

Was können eigentlich Geisteswissenschaftler?

Ein Beitrag von Simone Janson

Welcher Arbeitgeber bricht schon in Jubelschreie aus bei einem Bewerber, der Archäologie studiert hat? Welches Unternehmen sucht verzweifelt die ausgewiesene Expertin des Mittelhochdeutschen? Und welche Personalvermittlung hat nur auf einen promovierten Religionswissenschaftler gewartet? Die Zahl geht, Sie ahnen es schon, gegen 0. Und dennoch müssen Geisteswissenschaftler verstärkt auch in der freien Wirtschaft ihr Glück versuchen, wenn sie überhaupt einen Job finden wollen. Denn die Stellen in den traditionellen geisteswissenschaftlichen Bereichen sind rar.

Das Dilemma ist nur: Abgesehen von diesen üblichen Verdächtigen, Hochschule, Museum, Lehramt, einer Handvoll weiterer Kultureinrichtungen und vielleicht noch archäologischen Grabungsbüros, interessiert sich auf dem Arbeitsmarkt leider kaum jemand für die Spezies Geisteswissenschaftler. Auch wenn Unternehmen gerne vollmundig damit werben, offen für kreative Querdenker zu sein.


Warum sind Geisteswissenschaftler auf dem Arbeitsmarkt so unbeliebt?

Vordergründig liegt das natürlich daran, dass Geisteswissenschaftler, die frisch dem Elfenbeinturm entschlüpft sind, auf dem fremden Terrain der ökonomischen Wirklichkeit mit gut ausgebildeten Fachkräften konkurrieren, die mitbringen, was Geisteswissenschaftlern nicht selten fehlt: branchenspezifische Kenntnisse, kaufmännisches oder technisches Wissen oder einschlägige Berufserfahrung.

Die eigentlichen Gründe sind viel banaler: Oft passt es einfach psychologisch nicht. Denn potentielle Arbeitgeber müssen zuallererst ökonomisch an die Vorteile für ihr Unternehmen denken. Außerdem hat man in Deutschland einfach das zu machen, was man mal gelernt hat! Und freigeistige Geisteswissenschaftler mit ihren oft exotisch anmutenden Lebensläufen und abenteuerlichen Fächerkombinationen passen da oft nicht in die Schublade. Oder welcher Chef eines mittelständischen Unternehmens versteht schon, was einen Bewerber dazu bewegt, jetzt, nach Jahren, die er über italienische Dialekte geforscht hat, plötzlich im Personalwesen arbeiten zu wollen? Eben. Das irritiert, so jemand gilt als ziellos - und man traut ihm gar nicht erst zu, den Anforderungen des Arbeitsalltages gewachsen zu sein. Wenn dann noch Bewerber zu Verfügung stehen, die bereits ausreichend Erfahrung mitbringen und ins Schema passen, erhalten diese den Vertrauensvorschuss.


Schwierig, aber nicht aussichtslos

Die Geisteswissenschaftler aber, die mit Mitte bis Ende zwanzig ein bisschen weltfremd und voller Ideale, auf den Arbeitsmarkt geworfen werden, müssen dann etwas desorientiert zugeben: "Ich hab ja gewusst, dass die Jobsuche schwierig wird - aber so schwer?" Denn so richtig hat sie keiner auf diese Situation vorbereitet. Zwar hat man sie oft genug gewarnt, selbst die eigenen Professoren haben ihnen immer wieder erzählt, dass ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt eher begrenzt sind. Die Art und Weise, in kollektives Jammern auszubrechen, statt Lösungsansätze aufzuzeigen, war jedoch eher kontraproduktiv. Das beklagte die Hamburger Professorin Martha Meyer-Althoff schon 2004 in einem Interview auf Spiegel Online.

Wer aber stets hört, dass er mit seinem Abschluss nur Taxifahren oder arbeitslos werden kann, schafft es erst gar nicht, echtes Selbstbewusstsein für seine Fähigkeiten aufzubauen. Da verharren Geisteswissenschaftler lieber bekannten Gefilden, statt etwas Neues zu versuchen. Oder verstricken sich vielleicht sogar in einer Art arroganten Trotzhaltung, in der die heeren geistigen Ideale (welche immer das auch sein mögen) der profanen wirtschaftlichen Realität entgegengesetzt werden. Ein Gegensatz übrigens, der so gar nicht bestehen müsste, der ihnen aber an der Uni oft regelrecht anerzogen wurde. Und wenn man es dann doch versucht mit der Jobsuche, bricht nicht selten eine Identitäts- und Legitimationskrise aus, wenn es mit dem ersehnten Traumjob nicht gleich so recht klappt.

Das lässt viele Absolventen in einer Art Schockstarre verharren, statt weiterhin aktiv auf ihr Job-Ziel hinzuarbeiten. Denn Geisteswissenschaftler müssen mehr als die Absolventen anderer Studienfächer Eigeninitative zeigen: Auf einem Arbeitsmarkt, auf dem passgenaue Profile und Selbstvermarktung gefragt sind, wirken sich vor allem Unsicherheit und unklaren Berufs-Vorstellungen negativ aus. Wer es jedoch schafft, ein klares Bild seiner Fähigkeiten zu vermitteln, das potentielle Arbeitgeber auf einen Blick erkennen lässt, was man kann und will, hat deutlich besser Karten.


Viele können mehr, als sie glauben

Doch viele Geisteswissenschaftler können mehr, als sie glauben das zeigen viele Beispiele von erfolgreichen Absolventen die oft nach Rückschlägen und über Umwege in ihren Job gelangt sind:
Zum Beispiel Stefan Zeilinger, Historiker mit Spezialisierung Technik- und Wissenschaftsgeschichte: Er sah seine berufliche Zukunft in einem technischen Museum und wurde dann, über eine Stelle als Information Researcher, Patentreferent. Richard Gertis begann seinen IT-Job eigentlich nur als Übergangslösung und hat heute eine eigene EDV-Beratung für mittelständische Unternehmen. Oliver Krone, der eigentlich in die Erwachsenenbildung wollte nach MBA und Promotion heute schließlich Consult in einem Software-Unternehmen ist. Juliane Meyer, die von Anfang gezielt neben Komparatistik und Buchwissenschaften auch öffentliches Recht studierte, um ihr Berufsziel Verlagslektorat zu erreichen. Oder schließlich, als prominentes Beispiel, Monika Wulf-Mathies, die nach Studium und Promotion in Geschichte, Germanistik und Volkswirtschaft u.a. in der Politik, als Vorsitzende der ÖTV und bei der DHL arbeitete.

Man erreicht viel, wenn man es nur will und sich nicht entmutigen lässt

Sie alle, und noch viele weitere, sind in meiner Datenbank www.beruf-suchen.de versammelt, die zeigen soll: Das Image vom weltfremden Schöngeist stimmt nur bedingt: Viel mehr bringen die Absolventen der Geisteswissenschaften, das zieht sich wie ein roter Faden durch die Erfahrungsberichte, eine Reihe von Fähigkeiten mit, die auf dem Arbeitsmarkt durchaus gefragt sind: Kommunikationsfähigkeit in Wort und Schrift, analytisches Denken, eine breite Allgemeinbildung, Kreativität, Flexibilität und die Fähigkeit, sich schnell in neue, fremde Inhalte einzuarbeiten. Natürlich hat keiner der aufgeführten Absolventen seine Karriere nur wegen seines Abschlusses in den Geisteswissenschaften gemacht. Aber jeder von ihnen hat das Wissen aus dem Studium genutzt, in seinen Beruf eingebracht und mit neuen Erfahrungen erweitert. Das Fazit: Geisteswissenschaftler haben ganz vielfältige Berufschancen - sie müssen diese nur nutzen und mit Pragmatismus und Realitätssinn an die Jobsuche herangehen.


Geisteswissenschaften als Zukunftstrend?

Auch wenn in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Chancen von Geisteswissenschaftlern zunächst noch schlechter sind: Vielleicht haben sie sogar langfristig der Finanzkrise zu verdanken, dass ihr Stellenwert auf dem Arbeitsmarkt steigt. Schließlich stellen auch jene Absolventen, die mit ihren Fächern eigentlich top für den Arbeitsmarkt gerüstet sein sollten, immer öfter fest, dass die Karrierekurve eben nicht immer steil nach oben verläuft. Berufliche Umbrüche und Unsicherheiten werden immer normaler. Das wird mittelfristig auch in Deutschland zu einem Mentalitätswandel führen in zu mehr Offenheit auch für ungeraden Lebensläufen.

Glaubt man zudem Zukunftsforschern wie Dr. Eike Wenzel, liegen Geisteswissenschaften und Kultur voll im Trend. Beispielsweise Richard David Precht, dessen Bücher auch weiterhin die Top-Plätze auf den Bestsellerlisten belegen. Oder auch Peter Sloterdjik, dessen neustes Werk sich wochenlang in den Ranglisten weit oben bewegte. Wenzel plädiert dafür, Kultur nicht nur den Bildungsbürgern zu überlassen, sondern sie in den normalen Alltag zu holen - wie zum Beispiel der britische Privatsender Classic FM, der innerhalb von 4 Monaten auf 4,2 Millionen Hörer pro Woche kam, indem er klassische Musikstücke mit erklärenden Texten versieht.

"Wenn ich in die Zukunft sehen könnte, würde ich keine Studien schreiben"

Dazu kommt noch, dass sich auch der Gegensatz zu den Wirtschaftswissenschaften allmählich aufzulösen scheint: Deren Lehrinhalte stehen durch die Krise stark unter Beschuss, weil sie, so die Kritiker, das kurzfristige Renditestreben fördern, unkritisches Verhalten stärken und Querdenken verhindern würden.

Master-Of-Business-Apocalypse

Wer weiß: Vielleicht sind die Geisteswissenschaften ein Studienfach, für das sich bald kein Absolvent mehr zu schämen braucht. Vielleicht sind Geisteswissenschaftler bald gesuchte Kräfte am Arbeitsmarkt. Und vielleicht sind auch irgendwann Themen wie der Theoretische Armutsstreit wieder modern - ein komplexer theologischer Disput zum Ende des 13., Anfang des 14. Jahrhunderts. Eine historische Episode also, wie sie ferner von der heutigen Lebensrealität nicht sein könnte - und die dennoch dem Italiener Umberto Eco mit der "Name der Rose" zu einem Weltbestseller verhalf.



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Über die Autorin:


Simone Janson ist Journalistin u.a. für ZEIT-ONLINE, stern.de, Financial Times o. changeX.
Sie hat mehrere Bücher geschrieben, u.a. "Der optimale Berufseinstieg. Perspektiven für Geisteswissenschaftler" und zuletzt "Die 110%-Lüge. Wie Sie mit weniger Perfektion mehr erreichen."
Unter www.berufebilder.de betreibt sie einen Karriereblog.


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